Ungekürzte Entfernungspauschale bei Ein-Weg-Fahrt zur Arbeit

28.Sep.2017

Normalerweise fährt der Arbeitnehmer morgens von der Wohnung zur Arbeitsstätte und abends wieder von dort zurück nach Hause. Es gibt aber auch Konstellationen bzw. Tage, an denen der Arbeitnehmer zwar von zu Hause aus die Arbeitsstätte aufsucht, jedoch nach der Arbeit nicht wieder zur Wohnung zurück fährt, beispielsweise weil er von der Arbeit gleich in den Urlaub startet oder von der Tätigkeitsstätte dienstlich zu anderen Orten fährt (Dienstreise, Außendienstmitarbeiter) und von diesem Ort direkt nach Hause fährt (One Way). Das Finanzamt bzw. die Finanzverwaltung meint in solchen Fällen häufig, dass dann die sog. Entfernungspauschale zu halbieren sei (hälftige Kürzung), weil man an diesem Tag nur eine Fahrt zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte tätigt. Zur Begründung wird das Finanzamt zumeist auf eine Entscheidung des BFH (Bundesfinanzhofs) vom 26. Juli 1978 – VI R 16/76 verweisen, gegebenenfalls auch auf eine Entscheidung des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 20. Juni 2012 – 7 K 4440/10. Allerdings mag beides nicht überzeugen und ist mit dem Gesetz nicht vereinbar. 

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EStG sind Werbungskosten die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte von 0,30 Euro anzusetzen, vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 2 EStG. Mit der sog. Entfernungspauschale werden alle Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten, unabhängig davon mit welchem „Verkehrsmittel“ die Tätigkeitsstätte aufgesucht wird und auch unabhängig davon, wie oft am gleichen Tag die Tätigkeitsstätte aufgesucht wird bzw. wie oft der Arbeitnehmer zwischen beiden Orten am Tag hin- und herpendelt. Es kommt deshalb nicht auf die Anzahl der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte an, sondern nur darauf an, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte von der Wohnung am Tag aufsucht.

 

Diese Rechtsauffassung der Finanzverwaltung von der hälftigen Kürzung findet im Gesetz keine Stütze. Nirgends ist eine etwaige Kürzung angesprochen oder angedeutet. Im Übrigen wird im Steuererklärungsformular selbst nur nach der Anzahl der Tage, an denen die Tätigkeitsstätte aufgesucht wird, und nach der einfachen Entfernung zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte gefragt. Der Steuerpflichtige erklärt mithin gar nicht die Gesamtsumme. Vielmehr errechnet dies das Finanzamt selbst.

 

Die Entscheidung des BFH vom 26. Juli 1978 – VI R 16/76 dürfte mittlerweile überholt sein, weil die Vorschrift seitdem geändert worden ist und zu einer sogenannten Entfernungspauschale umgestaltet wurde. Mit der Änderung der Vorschrift zu einer sog. Entfernungspauschale sollte es nicht mehr darauf ankommen, ob der Steuerpflichtige die Arbeitsstätte mit einem Kraftfahrzeug aufsucht bzw. wie oft er die Arbeitsstätte aufsucht. Die Vorschrift sollte einerseits zu einer Verfahrensvereinfachung führen und andererseits einen Anreiz für alternative, gegebenenfalls ökologischere Fortbewegungsmöglichkeiten (Bewegung zu Fuß, mit Fahrrad, Bus bzw. Bahn; Nutzung von Mitfahrgelegenheiten; Verzicht von Fahrten durch Verbindung mit anderen Fahrten etc. pp.) schaffen. 

 

Das FG Baden-Württemberg setzt sich in seinem Urteil vom 20. Juni 2012 – 7 K 4440/10 zwar mit der Regelung als Entfernungspauschale auseinander und versucht eine Interpretation einer Norm über eine genetische (historische) bzw. teleologische (Sinn und Zweck) Auslegung. Allerdings übersieht das Finanzgericht, dass es zunächst eine grammatikalische Auslegung vornehmen muss, die schließlich über die genetische bzw. teleologische Auslegung bestätigt wird.  Daran mangelt es nämlich. Der Wortlaut von § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 2 EStG ist hier aber eindeutig; es heißt hier nämlich: „Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, …“ Worin hier eine Kürzung der Pauschale verstanden werden kann, wenn der Arbeitnehmer die Tätgikeitsstätte zwar aufsucht, aber von dort nicht wieder nach Hause fährt, beschreibt das Finanzgericht nicht.

Der Arbeitnehmer kann deshalb auch dann die volle Entfernungspauschale begehren, wenn er morgens von der Wohnung zur Arbeitsstätte fährt und nach der Arbeit zur Wohnung von einem anderen Ort fährt bzw. die Wohnung erst an einem anderen Tag erreicht.